Die unsichtbare KI im Büro
Während viele mittelständische Unternehmen noch aus Sorge vor Datenschutzverstößen und dem Verlust von Geschäftsgeheimnissen zögern, nutzen ihre Mitarbeiter längst Tools wie ChatGPT. Diese sogenannte „Schatten-KI” hat sich im Arbeitsalltag etabliert. Dieses Zögern zwischen Innovationsdruck und rechtlicher Unsicherheit führt in vielen Organisationen zu einem gefährlichen Stillstand. Doch die Realität von künstlicher Intelligenz und data protection ist weitaus nuancierter, als die meisten annehmen. Dieser Artikel deckt vier der größten Mythen auf und zeigt, wie der Weg zu einem sicheren und konformen KI-Einsatz aussehen kann.
Mythos 1: “Anonym” ist immer anonym
Die rechtliche Grauzone der Anonymität
Die gängige Annahme ist simpel: Daten sind entweder personenbezogen oder sie sind es nicht. In der Realität ist die Frage, wann Daten wirklich als anonym gelten, jedoch Gegenstand einer intensiven juristischen Debatte. Der Grund für diese Unschärfe liegt darin, dass moderne Techniken der Datenverknüpfung es ermöglichen, auch vermeintlich anonymisierte Daten wieder einer Person zuzuordnen.
In der juristischen Diskussion stehen sich daher zwei Hauptpositionen gegenüber: Einerseits die “absolute Auffassung”, nach der eine Re-Identifizierung unter absolut keinen Umständen mehr möglich sein darf. Andererseits die “relative Auffassung”, bei der eine Re-Identifizierung praktisch ausgeschlossen sein muss. Bislang haben Gerichte und Datenschutzbehörden diese Frage nicht abschließend geklärt. Das bedeutet: Es gibt aktuell keine universell als sicher anerkannte Methode zur Anonymisierung.
Der kontextbezogene Ansatz

Statt sich auf eine vermeintlich absolute Anonymität zu verlassen, müssen Unternehmen einen kontextbezogenen Ansatz verfolgen. Für Geschäftsführer und IT-Verantwortliche bedeutet dies, im Sinne der Rechenschaftspflicht nach Artikel 5 Absatz 2 DSGVO die eigene Risikobewertung sorgfältig zu dokumentieren. Außerdem sollten die gewählten Anonymisierungstechniken und die Begründung, warum eine Re-Identifizierung im spezifischen Kontext als praktisch unmöglich erachtet wird, detailliert festgehalten become.
Diese Dokumentation schützt nicht nur rechtlich, sondern zwingt Organisationen auch dazu, sich intensiv mit den tatsächlichen Risiken auseinanderzusetzen. Darüber hinaus ermöglicht sie eine nachvollziehbare Entscheidungsfindung bei der Implementierung von KI-Systemen.
Mythos 2: “Cloud-KI ist tabu – und eine eigene KI ist unbezahlbar”
Das wahre Risiko bei Cloud-Lösungen

Die rechtliche Unsicherheit bei der Anonymisierung ist ein wesentlicher Grund, warum Unternehmen Cloud-Lösungen misstrauen. Doch das Problem ist nicht die Technologie an sich, sondern die Jurisdiktion des Anbieters. Werden Daten auf Servern von US-Anbietern verarbeitet, besteht das Risiko eines Zugriffs durch US-Behörden aufgrund von Gesetzen wie dem Cloud Act. Dieser erlaubt US-Behörden den Zugriff auf Daten, selbst wenn diese auf europäischen Servern gespeichert sind.
Diese Sorge ist ein zentraler Hinderungsgrund für viele Unternehmen. Sie befürchten, dass sensible Geschäftsgeheimnisse über ein KI-Modell an die Konkurrenz gelangen könnten. Diese Angst ist nachvollziehbar: Sobald Unternehmensdaten das eigene Rechenzentrum verlassen, sinkt die Kontrolle über deren Verwendung erheblich.
Lokale KI als praktikable Alternative
Die überraschende Alternative liegt in lokalen Open-Source-KI-Modellen. Diese können im eigenen Rechenzentrum oder bei einem europäischen Cloud-Anbieter gehostet werden, was volle Datenkontrolle und DSGVO-Konformität gewährleistet. Dies ist nicht nur eine defensive Sicherheitsmaßnahme, sondern eine strategische Entscheidung.
Sie ermöglicht eine überlegene, maßgeschneiderte Performance durch die Optimierung von Modellen auf Basis eigener, qualitativ hochwertiger Unternehmensdaten. Dass dieser Weg nicht unbezahlbar sein muss, zeigt eine Case Study aus der Praxis: Eine deutsche Kommune hat eine lokale KI-Infrastruktur für eine Arbeitsgruppe von 20 bis 30 Nutzern für nur circa 10.000 EUR aufgebaut. Folglich ist die Investition in lokale KI-Lösungen auch für mittelständische Unternehmen durchaus realistisch.
Mythos 3: “Was die KI einmal gelernt hat, vergisst sie nie”
Das Recht auf Vergessenwerden gilt auch für KI

Das Recht auf Löschung nach Artikel 17 DSGVO ist ein Grundpfeiler des Datenschutzes und gilt auch für Daten, die zum Training eines KI-Modells verwendet wurden. Auf den ersten Blick scheint dies eine unüberwindbare technische Hürde zu sein. Doch auch hier gibt es Lösungsansätze, die jedoch rechtlich und technisch präzise unterschieden werden müssen.
Technische Lösungsansätze
Eine Methode zur Umsetzung eines Löschanspruchs ist das sogenannte “Nachtraining” oder Retraining. Dabei werden die internen Parameter des Modells gezielt so angepasst, dass eine bestimmte Information nicht mehr aus dem Modell ableitbar ist. Dies ist technisch komplex, zielt aber auf eine tatsächliche Entfernung der Information ab.
Davon zu unterscheiden ist der Einsatz von nachgeschalteten Filtern, die unerwünschte Ergebnisse blockieren, bevor sie den Nutzer erreichen. Die Datenschutzkonferenz stellt hierzu klar, dass das Unterdrücken von Ausgaben mittels Filtern nicht generell eine Löschung im Sinne von Artikel 17 DSGVO darstellt, da die Information im Modell selbst potenziell erhalten bleibt.
Auch wenn der Prozess anspruchsvoll ist, zeigen diese Ansätze, dass sich selbst komplexe KI-Technologien mit fundamentalen Grundrechten in Einklang bringen lassen. Unternehmen müssen jedoch genau prüfen, welche Methode sie einsetzen und diese Entscheidung dokumentieren.
Mythos 4: “Die KI übernimmt die Kontrolle und trifft alle Entscheidungen”
Die gesetzliche Vorschrift des Human-in-the-Loop

Die Vorstellung, dass Algorithmen allein über das Schicksal von Menschen entscheiden, ist beunruhigend. Die DSGVO schiebt dem jedoch einen klaren Riegel vor. Artikel 22 verbietet grundsätzlich ausschließlich automatisierte Einzelentscheidungen, die eine erhebliche rechtliche oder ähnliche Wirkung für die betroffene Person haben.
Das Prinzip des Human-in-the-Loop ist hier entscheidend. Eine menschliche Beteiligung muss mehr sein als ein formelles Abnicken eines KI-Vorschlags. Der Mensch im Prozess muss einen tatsächlichen Entscheidungsspielraum haben. Das Gesetz behält somit bewusst den Menschen als letzte Instanz für kritische Entscheidungen bei, um Verantwortung zu sichern und Individuen vor einer rein maschinellen Beurteilung zu schützen.
Praktische Umsetzung im Unternehmensalltag
Bei einer KI-gestützten Bewerberauswahl darf beispielsweise nicht allein der Algorithmus über Absagen entscheiden. Ein Personalverantwortlicher muss die finale, begründete Entscheidung treffen und die KI-Empfehlung aktiv überprüfen und überstimmen können. Gleiches gilt etwa bei einer automatisierten Kreditwürdigkeitsprüfung.
Diese Anforderung bedeutet für Unternehmen, dass sie ihre Prozesse so gestalten müssen, dass qualifizierte Mitarbeiter die KI-Empfehlungen kritisch bewerten können. Außerdem müssen sie die Kompetenz und die Zeit haben, eine eigenständige Entscheidung zu treffen. Dies erfordert entsprechende Schulungen und klare Verantwortlichkeiten in der Organisation.
Vom Zögern zur Gestaltung: Der Weg zur datenschutzkonformen KI-Nutzung
Die datenschutzkonforme Nutzung von KI ist kein unüberwindbares Hindernis, sondern eine Gestaltungsaufgabe. Für diese existieren bereits rechtliche Rahmenbedingungen und überraschend praktische technische Lösungen. Pauschale Verbote beruhen oft auf falschen Annahmen, die den Blick auf machbare und sichere Einsatzszenarien verstellen.
Mittelständische Unternehmen sollten den Schritt wagen und KI-Systeme gezielt und datenschutzkonform einsetzen. Dabei hilft es, die vier aufgedeckten Mythen im Hinterkopf zu behalten: Anonymität ist kontextabhängig, lokale KI ist bezahlbar, das Recht auf Vergessenwerden ist technisch umsetzbar und der Mensch bleibt die letzte Entscheidungsinstanz.
Statt also zu fragen, ob Unternehmen KI datenschutzkonform nutzen können, lautet die entscheidende Frage für die Zukunft: Wie gestalten sie ihren Einsatz so, dass er nicht nur gesetzeskonform ist, sondern echtes Vertrauen bei Mitarbeitern und Kunden schafft? Diese Frage sollte jede Organisation für sich beantworten und dabei proaktiv die Chancen nutzen, die KI-Technologien bieten.
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