Begibt sich ein Unternehmen auf die Suche nach einem neuen ERP-System, steht es früher oder später vor der Entscheidung Standardsoftware oder spezialisierte Lösung. Es gibt viele Gründe, die für ein Standard-System sprechen – nicht zuletzt der, dass ERP-Lösungen so flexibel sind, dass man sie auch noch an die individuellen Bedürfnisse eines Unternehmens anpassen kann. Dennoch ist die Wahrnehmung, was man unter eine Standardsoftware so grundsätzlich zu verstehen hat nicht so eindeutig wie gedacht.
Um böse Überraschungen zu vermeiden, hilft es schon mal, vor der ERP-Auswahl für sich als Unternehmen genau zu definieren, was man genau mit dem Einsatz eines neuen Systems erreichen möchte. Hilfreich ist in diesem Fall eine saubere Prozessanalyse. Die Ergebnisse können dann mit den Möglichkeiten eines Standard-Systems abgeglichen werden.
Was heißt da schon „Standardsoftware“?
Aber was beinhalten nun diese Möglichkeiten und was ist davon tatsächlich „Standard“?
Es kommt heute fast nicht mehr vor, dass Unternehmen ganz ohne Buchhaltungssoftware oder anderen Systemen arbeiten, die die Arbeit der Firma begleitet. Dies sind die gleichen Prozesse, die auch in einem ERP-Standard-System als Basis abgedeckt werden. Deshalb spricht man dabei auch von „Basisfaktoren“. Diese erwarten viele bei einem ERP-System implizit und erst das Fehlen zeigt in der Regel die Unabdingbarkeit dieser Funktionen auf.
Was folgt, sind die „Leistungsfaktoren“, also Funktionen, die vom künftigen Nutzer des Systems gezielt erwartet werden. Diese sind nur noch durch sog. „Begeisterungsfaktoren“ zu übertreffen, also Funktionen mit Überraschungseffekt, die der Nutzer so nicht erwartet hätte.
Die Ansprüche wachsen
Allerdings ist es bei ERP-Systemen häufig so, dass Leistungsfaktoren schnell zu Basisfaktoren werden und Begeisterungs- zu Leistungsfaktoren. Besonders da auch in anderen Systemen – mit denen bis dato in dem jeweiligen Unternehmen gearbeitet wurde – viele der Basis- und Leistungsfaktoren abgebildet waren und so die Ansprüche an die neue Standardsoftware wachsen. Man könnte fast schon von einer Erwartungshaltung an die Begeisterungsfaktoren sprechen.
Erst Standards prägen und später erfüllen
Schwierig wird es mit Standards die von Trends und manchmal den Marketingabteilungen der Hersteller geprägt werden. Manche Megatrends erzwingen förmlich Funktionen, die wenig ausgereift sind. Dabei verstärkt jeder der den Hype bedienen will noch den Effekt. Der Mitbewerb fühlt sich gezwungen mitzuziehen und eine weitere Pseudolösung wird etabliert. Viel später dann und oft genug durch das Feedback der User werden dann wirklich runde Standards daraus.
Ungewohnter Standard
Vielen Nutzern fällt es schwer ihre bisherigen gewohnten Prozesse zu verlassen (was auch nicht immer notwendig ist). Die Idee einer Standardsoftware beinhaltet allerdings auch immer Standardprozess denen man besser folgt. Manchmal ist eine Umstrukturierung der Prozesse auf jene in der neuen Software vorhandenen auch ein echter Gewinn für das Unternehmen. Die abgebildeten Funktionen sind auf ihren Erfolg getestet und bedeuten somit eine Optimierung. Andererseits arbeiten die Hersteller oft mit dem Feedback der Kunden. Der Standard der neueren Version eine Software ist dann ein neuer aber eben veränderter Standard. Die Ergebnisse in der Standard-Lösung sind am Ende dann aber auch dementsprechend verschieden.
Der flexible Standard
Standardsoftware und Best Practice werden von vielen Unternehmen begrüßt und verlangt. Kommt es dann zum Schwur, sprich zur Einführung, kommt schnell der Ruf nach Anpassung. Und zwar zur Anpassung der Software, nicht des Unternehmens. Das scheint auf den ersten Blick unlogisch. Man bedenke aber dabei, dass gerade ein mittelständisches Unternehmen sich oftmals nur darin vom Mitbewerb unterscheidet, wie es Dinge, aber nicht was es tut. Und dieses andere „wie“ sollte die Unternehmenssoftware, Standard hin oder her, dann auch abbilden. Viele Hersteller antworten auf dieses Dilemma mit einem Versprechen: Flexibilität. Und ja, machen kann man unwahrscheinlich viel.
Nur man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass man unbeschränkt beides haben kann: Best und Personal Practice.
Mit jeder Anpassung gibt man ein Stück Standard auf.