Der Mittelstand ist seit einigen Jahren die Zielgruppe an der sich viele Hersteller von Business Software orientieren. Hier sehen die meisten Unternehmen der ERP-Branche noch reelle Wachstumschancen auf einem hart umkämpften Markt. Die so umworbenen können gerade aus einer Vielzahl von Produkten und Dienstleistern auswählen. Näher besehen scheint die Auswahl jedoch eingeschränkt. Je nach aktuellen Trend blasen alle mehr oder weniger ins gleiche Horn und einheitlich werden die Interessenten mit Schlagwörtern zugedeckt. Gerade führen alle SAAS und Cloud Computing im Munde, vor nicht allzu langer Zeit war BPM das Hypethema davor SOA.
Wir erinnern uns überdies noch an Zeiten in denen Software on Demand und alle Spielarten des Softwarehostings das Top Themen waren. Alle diesen Strömungen haben gleiche Merkmale: Sie bauen auf Technik oder/und methodischen Theorien.
Oftmals begegnet der typische Mittelständler diesen Buzzword-Bombardements mit einigen Unverständnis. Wenn Sie sich nach einer Anwendung umsehen, haben sie oft genug andere Dinge im Hinterkopf als die „neuste Techniksau“ die durchs IT-Dorf getrieben wird.
Das sorgt oft für Frust, auf beiden Seiten, aus dem Grund der die Wurzel aller Frustration ist: Man versteht sich nicht.
Missverständnis 1: Technik statt Lösungen
Ich kann mich noch an eine Cebit vor einigen Jahren erinnern, auf der die SAP zum ersten Mal offensiv den Mittelstand adressierte. Mit Kopfschütteln und mit Kommentaren wie “ da bin ich falsch“ verließen einige Zuhörer einen Vortrag auf dem die typische mittelständische Unternehmensgröße genannt wurde, die die SAP mit ihrem Angebot im Auge hatte. Da von Unternehmen am 3.000 Mitarbeitern die Rede. Spätestens mit SAP Business One hat sich die Zielgröße heftig nach unten bewegt. Jetzt kommen sogar Unternehmen mit nur 10 Mitarbeiter durchaus für eine SAP-Software in Frage.
Andere Anbieter haben einen ähnlich Entwicklung genommen und das ist auch allen angeraten. Denn der deutsche Mittelstand bewegt sich in einer Größe, wo das K im Begriff KMU (Kleine und mittlere Unternehmen) seine Bedeutung hat. Nach dem IFM (Institut für Mittelstandsforschung Bonn) arbeiten mehr als 70% aller Beschäftigten in Unternehmen mit einer Mitarbeiterzahl unter 500 Beschäftigten.
So weit so gut: Der Markt ist erkannt und wird bearbeitet.
ERP dem Mittelstand vermitteln
Was leider nicht ganz Schritt gehalten hat, sind die Methoden, die Angebote an den Mann zu bringen. Klassisch werden immer noch Vertriebsmitarbeiter ins Feld geschickt, die ausgerüstet mit Powerpoint, einer Reihe von Verkaufstrainings und mehr oder weniger Talent die ERP-Software dem vermeintlichen Kunden verkaufen sollen. Auf den Interessenten geht dann ein Regen von Schlagworten hernieder, mit denen er oft nichts anfangen kann. Im besten Falle äußern sich die so gequälten bei einer Präsentation entsprechend. Oft herrscht aber betretenes Schweigen: Wer gibt schon gern zu bei einem Vortrag keine 5% verstanden zu haben.
Andere Ansprechpartner früher und heute
Dieses Verhalten stammt aus einer Zeit, in dem ein Gespräch zwischen Anbieter und Interessent für eine ERP-Software auf Basis einer ähnlichen Fachmannschaft stattfand. Der Ansprechpartner vor 20 Jahren mit dem das Thema Business Software diskutiert wurde, war ein IT-Leiter mit ähnlichen Background wie der ihm gegenüberstehende Berater. Und das Wichtigste, diese Ansprechpartner hatten bei einer Entscheidung auch gewichtiges Wörtchen mit zu reden. Man bewegte sich eben in Unternehmen die schlicht groß genug waren sich eine eigene IT-Abteilung mit entsprechenden Fachleute zu leisten. Daneben umgab noch alles was mit der EDV zu tun hatte der Nibums des fast magischen.
Heute ist die Situation radikal anders: In 90% aller Fällen entscheiden im Mittelstand, ob und welche ERP-Lösung in einem Unternehmen eingeführt wird die Geschäftsführung oder die kaufmännische Leitung. Hier ist die aller erste Anforderung an eine Software: Sie muss sich rechnen. Wenn sie sich rechnet ist es zunächst ohne Belang, ob sie als Software as a Service (SAAS) oder als On-premise – Modell installiert wird.
Bestehen also konkrete Probleme oder Anforderungen, möchte der Kunde diese gelöst haben und vor allen Dingen aber auch vorab wissen, welche Kosten damit verbunden sind.
Missverständnis 2: Was oben funktioniert funktioniert auch unten
Neulich klagte ein Geschäftsführer über die sturen Mittelständler: „..Die denken nicht in Prozessen, die denken immer noch in Fällen…“. Und das, obwohl man schon längst aus der Großindustrie weis, dass will man noch Verbesserung in der Abwicklung von Prozessen erreichen, man den ganzen Prozess beachten und bearbeiten muss. Und das unabhängig wie viel Abteilungen und Positionen im Unternehmen er durchwandert. Dafür gibt es ja mittlerweile ausgereifte Softwaretools, die anwendungs- und aufgaben übergreifend einen Prozess steuern. Klar muss man vorher alle Prozesse im Unternehmen einer Analyse unterzogen haben.
Mittelstand an seinen Grenzen
Trotzdem kommt man mit BPM im Mittelstand regelmäßig an sein Grenzen. Natürlich werden einige Prozesse anlässlich einer ERP-Einführung oft neu überdacht und auch reorganisiert. Das passiert aber, um ehrlich zu sein, meist aus einer Gemengelage aus Anforderungen, die die Software ins Haus bringt und tatsächlichem Handlungsbedarf. Im Kern haben sich aber oft Prozesse im Unternehmen auf informellen Weg etabliert, die sich schlicht durch ihre Nachhaltigkeit durchgesetzt haben. Dies hängt dann öfters mit Personen, nicht mit Positionen zusammen. Diese Personen haben natürlich den Nachteil schwer ersetzbar zu sein aber oft den riesen Vorteil autonom von irgend einer übergeordneten Steuerung einfach zu funktionieren.
Flexibilität im Mittelpunkt
Die Anforderung an eine ERP – Software ist in einem solchen Umfeld Flexibilität. Neue Gegebenheiten und bereichsübergreifende wechselnde Rollen, müssen schnell in der Software nachvollziehbar sein und umgesetzt werden können.
Eine besondere Rolle dabei spielt aber auch, wie intuitiv Softwareoberflächen bedienbar ist, sprich wie leicht sich ein umgeschlagener Benutzer einen neuen Vorgang aneignen kann.
Missverständnis 3: Standardsoftware bietet Standards für alle
Das Paradigma der Standardsoftware wurde nun seit gut 30 Jahren erfolgreich im Markt etabliert. Die Vorzüge standardisierter Prozesse innerhalb einer ERP Software liegen zunächst einmal auf der Hand:
- die Kosten für den Erwerb sind zunächst niedriger
- die sofortige Verfügbarkeit wirkt sich positiv auf die Einführungsdauer aus
- sie ist ausgereifter und daher weniger fehleranfällig
- der Einführungs- und Schulungsprozess ist häufig standardisiert
- eine große Anzahl von Nutzern sorgt für ständigen Weiterentwicklung
Grenzen der Standardisierung
Nun liegt der Schluss nahe, das mit dem Grad der Standardisierung auf der Nutzen für das Unternehmen wächst. Speziellen deutschen Mittelstand hat das jedoch seine Grenzen. Wie oft schon, wurden wir mit der Aussage konfrontiert, wenn wieder einmal eine spezielle Funktionalität nicht dem entsprach was sich der Kunde vorstellt, aber der Standard bot: „..diese Funktion müssen sie doch schon tausendmal umgesetzt haben …das machen wir doch nicht alleine so..“
In so einem Fall muss man oft genug entgegen, dass genau diesen einen spezielle Prozess, so unglaubliches erscheinen mag, dieses eine Unternehmen auf ganz spezielle Weise behandelt. Dann bleibt nichts anderes übrig die Software entsprechend anzupassen. Natürlich kann an diesem Punkt die Diskussion führen, ob es nicht besser wäre den Prozess nochmal zu überdenken. Das heißt die Prozesse dem Standard anzupassen. Allerdings muss man konstatieren, dass eben diese detaillierte unternehmensspezifische Umsetzung von Prozessen das ausmacht was einen deutschen Mittelständler und seinen Kollegen in anderen Ländern oft unterscheidet. Eben weil hier jemand Detail versessen akkurat agiert entsteht deutsche Wertarbeit.
Die Anforderungen an eine moderne ERP für den deutschen Mittelstand, ist also so viel Standardisierung als möglich bei so hoher Flexibilität wie nötig.